Florian Kienzle

Übersetzer • Albanologe • Lyriker



Neukusu treba reći ne!


Porträt von Florian Kienzle
Florian Kienzle Porträt

Über mich

Ich wurde 1982 im südbadischen Lörrach als Sohn eines Gymnasiallehrers und einer Journalistin geboren. 1998 verschlug es mich aufgrund der Tätigkeit meines Vaters für drei Jahre nach Albanien, damals noch kein beliebtes Reiseziel, sondern eine terra non grata. Freunde und Verwandte schlugen sich an den Kopf: Wie könnt ihr nur? Dahin? Stirnrunzeln bis hin zu Anfeindungen. Doch es war Liebe auf den ersten Blick.

Die Nachbarn meiner Jugend steckten ihre gesamten Ersparnisse in die rechte Gesäßtasche, mit dem größten Schein nach außen. Die Nachbarn meiner Jugend hatten die Hände frei. Als Studenten klemmten sie sich ihre türkischen Schreibhefte ins Hemd, die Mädchen durften ihr defter beim Universitätswächter abgeben; bei sich hatte man höchstens einen Stift. Die Nachbarn meiner Jugend hatten alle Hände voll: Sie rannten mit Taschen, Koffern, Tüten und einem Teppich über der Schulter von dem Schiff nach Italien. Die Nachbarn in meinem Kopf warfen alle Koffer der ankommenden Fluggäste auf einen großen Haufen. Meine Nachbarn rauchten beim Fliegen. Und wenn sie sagten, sie hörten mit dem Rauchen auf, hörten sie auf! Meine Idole liefen auf Schienensträngen und verloren all ihr Geld in betrügerischen Anlagefirmen. Die Nachbarn meiner Jugend standen schließlich um fünf Uhr früh auf und kamen pünktlich um Sieben bei ihren Nachbarn auf den Morgenkaffee zu Besuch.

2005 zog ich nach München, um an der Ludwig-Maximilians-Universität Albanologie, Amerikanistik, Slawistik und Literarisches Übersetzen zu studieren. Von 2006-2009 nahm ich am Internationalen Seminar für albanische Sprache, Literatur und Kultur in Prishtina mit Vorträgen teil. 2009-2010 studierte ich als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Serbien an der Belgrader Universität. 2015-2016 unterrichtete ich als DAAD-Sprachassistent im Kosovo an der Universität von Prizren Deutsche Sprachpraxis. 2020 promovierte ich an der LMU München zu Geschlechterdarstellungen in der albanischen Literatur.Was bedeutet Inklusion? Das ist eine große Frage. Viele Jahre war ich neben der Kopfarbeit auch im sozialen Bereich mit Menschen mit Behinderung tätig. Seit 2001 trete ich mit meinen Texten und Übersetzungen auf Bühnen auf. 2017-2022 unterrichtete ich an der LMU München Albanische Sprache, Literatur und Volkskunde. Derzeit bin ich freischaffend und ehrenamtlich in München tätig: als Schulweghelfer, Hausaufgabenbetreuer, Wahlhelfer, bei der Tafel, im Tierheim, wo eben was anfällt und meine Arbeitskraft erwünscht ist. Das nun in Verruf geratene Bürgergeld ermöglicht mir ein einigermaßen würdevolles Leben, in dem ich mich auch mit meiner Schwerbehinderung in die Gesellschaft einbringen kann. Wie lange noch?

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Gjuha shqipe. Das Lehrbuch.Vor den feinen, holzstiftgezeichneten sozialistischen Menschen hatte ich Heidenrespekt. Sie besaßen statt Augen große, dunkle Flecken und dennoch schien ihnen nichts zu entgehen. Fixiert von Teutas Brauen und dem Röntgenblick des Arztes überlegte man es sich zweimal, eh man das Buch weglegte. Die Arbeiter der Traktorenfabrik sahen dich, über ihre Werkpläne gebeugt. Dem Lehrer im seltsam violetten Anzug, der mit Sonnenbrille vor der Tafel stand, entging ebenso wenig wie dem finster dreinblickenden Agim hinter seiner Literaturzeitschrift; der Seitenscheitel im Halbschatten, der Mund ein strenger Strich. Am freundlichsten wirkten eigentlich die drei stillstehenden grünen Soldaten.
Wenn irgendwo die Welt in Ordnung war, dann im Albanien meines Lehrbuchs mit dem staubroten Einband. In der Bibliothek des Deutschen Museums und in der Bayerischen Staatsbibliothek fühlte ich mich erhaben hinter den Juristen in ihren leichten rosa Hemden vor ihren dicken Büchern, auf Ständer gespannt oder an graue Kartons gelehnt. Ich tauchte ein in das wirkliche Leben und war Botschafter sozialistischer Pädagogik albanischer Prägung.
Am ersten Schultag liefen mir strahlende Kinder entgegen mit kurzen Röcken und Hosen, mit Blumensträußen und Halstüchern, mit Zöpfen und Ledertaschen, Mitglieder einer großen Gemeinschaft. Die Dorfschule war neu, der Vogel sang schön, der Maurer arbeitete schnell, und Vera säuberte mit Freude ihre große, helle Küche. Agron fing die gelben Schmetterlinge, Artan fing die blauen Schmetterlinge, und die Landwirtschaft ging alle an!
Albanien ist eines der ersten Länder der Welt, das all seine Dörfer vollständig elektrifiziert hat. Am 25. Oktober wird das Stromfest in allen vier Himmelsrichtungen des Landes begangen. In unserem Vaterland sind auch die Berge und Hügel in fruchtbare Erde verwandelt. Albanien ist eine Festung aus Granit an den Küsten der Adria. Albanien ist das Land mit der niedrigsten Sterblichkeitsrate Europas.
Gëzim ist groß und stark. Er hat einen aufrechten Körper, breite Schultern, eine hohe Stirn und schwarze Augen. Er ist gesund und erkrankt nie. Gëzim ist sehr arbeitsam. Von ihm lernen die jungen Arbeiter. Die Albaner waren die besseren Sozialisten. Die Albaner waren die besseren Deutschen. Das Zur-Arbeit-Erscheinen vor der Zeit, das Interesse und die Sorgfalt für Maschinerie und Produktion sind selbstverständlich geworden unter den Textilistinnen des Kombinats. Die Kooperativisten mochten den neuen Agronom.
Die Freiwilligen säuberten den Ort, um den Weg für die Terrassen zu öffnen. Die Erde wartete mit Ungeduld, von dem lästigen Felsen befreit zu werden, unter dem sie kaum Luft bekam. „He! Was freust du dich denn so?“ wollte der gewaltige Felsen wütend wissen. „Wie soll ich mich nicht freuen? Sie werden mich befreien!“ entgegnete die Erde fröhlich. Der Fels prahlte noch: „Mich rührt keiner vom Fleck. Die dort sind wie Mäuse vor mir!“ „Du bist eitel, mein Fels, und die Eitlen stürzen stets“, sagte ihm die Erde. „Na, das werden wir ja sehen“, sprach der Fels. Doch die Freiwilligen befreiten die Erde, die erleichtert aufatmete.
(aus der Erzählung Albanischstunde)

Motive

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In meiner Forschung zur albanischen Literaturgeschichte wende ich mich universellen Themen zu. Das Werk tritt somit einen Schritt zurück, der oder die Schreibende zwei Schritte. Beispielhaft für einige der Motive stehen hier Texte von mir und albanischen Autorinnen und Autoren in deutscher Übersetzung.

Tim J. Webb

Gedrucktes

Räume
Xhuvani
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Keine Helden

Übersetzungen albanischer Literatur- Dhimitër Xhuvani. Stalins Fluch. Roman. Norderstedt: BoD, 2024.
- Lindita Arapi. Albanische Schwestern. Roman. Bonn: Weidle Verlag, 2023.
- Ndriçim Ademaj. Keine Helden weit und breit. Roman. Passau: Schenk Verlag, 2022.
- Elvira Dones. Verbrannte Sonne. Roman. Zürich: Ink Press, 2021. - Siehe hier die Besprechung im Literaturclub -
- Martin Camaj. Früher Schnee. Novelle. In: Vom Wehrturm zur Streichholzschachtel. Wiesbaden: Harrassowitz, 2023.
- Maks Velo. Die Bar im Nirgendwo. Novelle. ebd.
- Ylljet Aliçka. Die Statue des Ersten Sekretärs. ebd.
- Ardian Klosi. Drei Essays. ebd.
- Fatos Lubonja. Die Wolfsneurose. ebd.
- Martin Camaj. Fackeln in der Nacht. In: Ein Nehmen und Geben. Wiesbaden: Harrassowitz, 2020.
- Migjeni. Die Geschichte von einer von denen. ebd.
- Ismail Kadare. Romanauszüge. ebd.
- Ylljet Aliçka. Parolen aus Stein. ebd.
- Maks Velo. „Das letzte Blatt.“ Am Erker 79, 2020.
- Ylljet Aliçka. „Eine Liebesgeschichte.“ Abwärts!, 2019.
- Adil Olluri. „Vaters Rückkehr.“ Lichtungen 145, 2016.
- Mimoza Ahmeti. Gedichte. Albanische Hefte 1, 2014.
- Ervin Hatibi. „10 Jahre ,Coca-Cola‘.“ ebd.
- Anton Marku. Gedichte. ebd.
- Elvira Dones. „Sucht mich in den Containern.“ Elvira Dones Official Website. 2010. Web.
- Adem Gashi. „Albanischer Wahn.“ Am Erker 57, 2008.
- Ervin Hatibi. „Ohne Titel.“ ebd.
- Jeton Neziraj. „Eine späte Geschichte des jungen Theaters.“ Landvermessungen. Theaterlandschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Hrsg. Martina Vannayová und Anna Häusler, Berlin: Verlag Theater der Zeit, 2008.
- Ervin Hatibi. „Heldenrecycling.“ ervinhatibi.com. 2007. Web.
Literarische Texte- Das ist nur ein Kratzer. Bipolare Poesie. Mit Illustrationen von Timothy James Webb. Norderstedt: BoD, 2024.
- mehr als das butterbrot verlangen. Gedichte. Basel: Papiermühle, 2005.
- „Stillleben – Langzeitstudent in Espressobar." Am Erker 74, 2017.
- „Cikli i përhershëm." Lirindja 4, 2015.
- „Unë, shqiptarët dhe autoshkolla." Jeta e Re 1, 2014.
- „Literatur-Kaffee." Am Erker 60, 2010.
- „Helden." Am Erker 57, 2008.
- „Mitleid mit dem Espressotrinker", „Herb im Abgang". allmende 75, 2005.
Wissenschaftliche Arbeiten (Auswahl)- Vom Wehrturm zur Streichholzschachtel - Orte und Räume in der albanischen Literatur. Wiesbaden: Harrassowitz, 2023.*
- Ein Nehmen und Geben - Die Geschlechter in der albanischen Literatur. Wiesbaden: Harrassowitz, 2020. (Hier auch online frei verfügbar.)
- „Ismail Kadare." Kritisches Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur 115, 2021.
- ,,Im Gegenteil von Liebe. Das Motiv der Karriere in der neueren albanischen Prosa." Albanische Hefte 3+4, 2018.
- „Der ,Kulla-Komplex‘. Die Darstellung des Kanuns in der modernen albanischen Literatur." Albanische Hefte 4, 2008.
- „Novela 'Pishtarët e natës' e Martin Camajt." Seminari XXVI ndërkombëtar për gjuhën, letërsinë dhe kulturën shqiptare. Bd. 2. Hrsg. Imri Badallaj. Prishtina: Fakulteti i Filologjisë, 2007.
*Zusatz zum Sachregister:
Abwesenheit, Leere: S. 9, 16, 31, 39f, 72f, 102, 105f, 130, 134, 141, 146f, 150-154, 167-171, 180-189, 192-194, 210, 217, 232f, 246, 263, 275f, 278, 286
Nostalgie: S. 11, 18, 22, 26, 28, 67, 75f, 97, 111, 118, 132-136, 140f, 150, 153, 198, 239f

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